Protokollieren und Formatieren: Zur Mediengeschichte des credit reports

Der Beitrag folgt protokollarischen Schreibpraktiken, die zur Ausbildung der nordamerikanischen Kultur des Kreditgebens beigetragen haben. Er rekonstruiert die institutionelle und medienpraktische Entstehung des credit report im 19. Jahrhundert. Auf dessen narrativen und klassifizierenden Bewertungen von Kreditwürdigkeit beruht, so die These, die Konjunktur des prestigeträchtigen Bezahlens mit Kreditkarten im 20. Jahrhundert. Die protokollierenden Praktiken – in der Kreditauskunft, aber auch in der Registratur von Transaktionen – führen darin zur Ausbildung von fixierenden Karten- und Datenformaten und Standardisierungen. Diese werden wiederum für die Finanzmedieninteraktion protokollarisch, d.h. vorschreibend wirksam.

Erschienen im Open Access (PDF) in dem von Peter Plener, Niels Werber und Burkhardt Wolf herausgegebenen Buch Das Protokoll.

Bar oder mit Karte? Warum wir neue Infrastrukturen des Geldes brauchen [re:publica 23: CASH]

Banner der re:publica 2023, CASH
 
Bar oder mit Karte? Oder doch per App oder Krypto-Wallet bezahlen? Wenn es um’s Geld geht, fehlt in Deutschland soziale Fantasie, Innovations- oder gar Risikobereitschaft. Diesen Zustand nehme ich nicht länger hin und frage: Welchen digitalen Euro braucht unsere Zivilgesellschaft?

Keynote auf der re:publica 2023: 6. Juni, 16.45 Uhr, Stage 1.

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Digital Twins and Doubles: Data of Cooperation [call for contribution]

Logo Medien der Kooperation‘Digital Twins’ are currently the most important drivers of the fourth industrial revolution. The technical products and processes that are becoming ever more complex are now developed and tested in the virtual sphere before they emerge in the ‘real’ world. Future artifacts and practices are first produced as software models and simulated as so-called digital twins. The paradigm of digital media technologies is therefore subject to fundamental change through the prevalence of digital twins in industry and research: the digital is no longer a real-time virtual representation of a real-world physical object: it is exactly the opposite and concurrently much more than that, allowing the analysis of future performances of objects without the physical presence of the objects. Digital twinning therefore promises not only the potential of making futures predictable through recognition and correlation of virtual and physical (Chun 2021), but the ability to do so without physical counterparts. „Digital Twins and Doubles: Data of Cooperation [call for contribution]“ weiterlesen

Test – Zeitschrift für Medienwissenschaft 29

Call for Paper ZfM TEST

Bereits vor Ausbruch der Covid19-Pandemie haben David Stark und Noortje Marres die fortwährende Ausweitung von Testverfahren als eine Signatur von test societies beschrieben. Sie konzentrierten sich dabei auf das wechselseitige Verhältnis von Test und Gesellschaft(en). Denn Tests finden nicht allein nur in Labor und Werkstatt, Büro oder Studio statt, sondern in sämtlichen Lebens- und Arbeitsbereichen. Doch in welchem Verhältnis stehen Medien und Tests – historisch, in der digitalen Gegenwart, politisch und methodologisch?

Wir schlagen vor, Tests als offene Situationen zu verstehen, in denen mittels etablierter oder sich erst während des Testens etablierender Maßstäbe soziotechnisch Entscheidungen ermöglicht werden. Mit Tests wird das Neue und Unerwartbare nicht nur erkundet, sondern medial registriert, identifiziert und klassifiziert. Auf diese Art und Weise werden situierte Daten als Fakten generiert, die wiederum Entscheidungen ermöglichen. Dadurch transformiert der Test das Getestete und seine Umgebung. Für einen medienkulturwissenschaftlichen Begriff des Tests gilt: In den Mikroentscheidungen des verteilten und verteilenden Testens steht das Soziale selbst auf der Probe. Der annoncierte Themenschwerpunkt von Heft 29 untersucht deshalb medienhistorische wie gegenwärtige Praktiken und Techniken von Testgesellschaften und fragt, wie sich Medien und Tests wechselseitig konstituieren – ob als Sinnestest, Testbild oder Testton, Probedruck, Testvorführung, Pilotfilm, Betaversion, Test technischer Objekte und Abläufe, forensische Analyse, Wissensprüfung oder biomedizinische Zertifizierung.

Besondere Aufmerksamkeit sollen die Politiken des Testens erfahren. Testgesellschaften können kontrollgesellschaftliche Elemente enthalten, doch die Politiken von Testsituationen entfalten sich auf unterschiedliche Weisen. Anstelle direkter Überwachung dominiert das permanente monitoring. Neben der Frage, wie mit Tests Entscheidungen getroffen und Zukünfte (un)möglich gemacht werden, sollen auch die beteiligten Akteur_innen und deren Handlungsmacht problematisiert werden. Wer verfügt einen Test? Wer hat Mitsprache an Kriterien und Bedingungen? Ist eine Testsituation für alle Beteiligten überhaupt als solche erkennbar? Gerade im Kontext digitaler Plattformmedien ist dies häufig nicht der Fall. Verfahren des datenbasierten Testens kennzeichnen technisierte und digitalisierte Lebenswelten – spielerische und situierte Praktiken, mit denen opake Medientechnologien angeeignet werden («unboxing», YouTube as Test Society), aber auch großflächige Tests, die vom Stresstest des Finanzsystems über die datenintensive Sozialforschung großer Plattformen und agile Entwicklungsstrategien (ehemals Perpetual Beta) bis zur allgegenwärtigen Einrichtung von Technologien maschinellen Lernens reichen. Man könnte von einer steten Ausweitung des soziotechnischen Testens sprechen, die auch Crashtests, experimentelle Smart Cities oder die Gesundheitsvorsorge umfasst.

Kein Medium ohne Test, kein Test ohne Medien. In datenintensiven Mensch-Maschine-Netzwerken wird fortwährend geprobt und getestet. Die wechselseitige Verfasstheit von Medien und Tests erzeugt dabei eigene Herausforderungen für medienwissenschaftliche Kritik und Methoden. Während der individualisierte Turing-Test als Mythos künstlicher Intelligenz weiter tradiert wird, werden mögliche kollektive Test- und Prüfverfahren verteilten maschinellen Lernens kontrovers diskutiert, etwa unter dem Stichwort der algorithmic accountability. Wie kann die Medienkulturwissenschaft ubiquitäres Testen in seinen verschiedenen Facetten empirisch nachverfolgen? Wie kann sie kritisch in entsprechende Debatten intervenieren? Und was bedeutet dies für medienwissenschaftliche Methoden?

Wir laden dazu ein, die Medien, Mediatoren und Situationen des Testens einer genauen Prüfung zu unterziehen. Besonders willkommen sind Beiträge, die die Medialität des Testens anhand konkreter Fälle untersuchen und sich deren Politiken zuwenden. Inwiefern sind Medien grundlegend für Testpraktiken und zeitlich begrenzte Test-Situationen? Inwiefern ist umgekehrt das Testen konstitutiver Bestandteil von Medien und deren Praktiken? Auf welchen biologischen, physikalischen, bürokratischen und sensorischen Test- und Prüfverfahren beruhen Medien? Wie schreiben sich die Medien und Mediatoren des Testens in Wahrnehmung, Sozialität, Geschlecht und Kulturtechniken ein? Ebenso interessiert uns, wie Institutionen und Plattformen, aber auch Situationen und Praktiken über die anhaltende Proliferation des Testens und seiner Datenpraktiken entscheiden. Wie lassen sich Testgesellschaften durch ihre öffentlichen Kontroversen – wer testet wen unter welchen Bedingungen – verstehen? Welche Testverfahren stehen im Widerstreit zueinander und gibt es alternative Testpraktiken und -kulturen? Wie lässt sich der Zusammenhang von Medien und Tests als politische Frage denken? Wie sähen demgegenüber die Konturen einer Poetik des Testens aus? Schließlich: Wie testet die Medienwissenschaft ihre Thesen?

Einreichung kompletter Beiträge bis zum 28. Februar 2023.
Stylesheet und Call unter www.zfmedienwissenschaft.de.

Ideen für mögliche Beiträge können sehr gern vor dem Einreichen der ausgearbeiteten Texte mit der Schwerpunktredaktion besprochen werden. E-Mail für inhaltliche Rückfragen: sebastian.giessmann@uni-siegen.de, carolin.gerlitz@uni-siegen.de.

Schwerpunktredaktion: Sebastian Gießmann, Carolin Gerlitz

Netzwerkästhetik und kritische Medienkunst

Das Centre Georges Pompidou widmet sich mit „Réseaux-Mondes“ der Digitalisierung einer Kulturtechnik. Dazu ist online in der Zeitschrift für Medienwissenschaft meine Besprechung der von Marie-Ange Brayer und Olivier Zeitoun kuratierten Ausstellung erschienen.

Le réseau du vivant. Ausstellungsansicht von «Réseaux-Mondes», Centre Georges Pompidou, 23. Februar bis 25. Mai 2022. Alle Rechte hinsichtlich der Kunstwerke vorbehalten. Fotografie Sebastian Gießmann.
Le réseau du vivant. Ausstellungsansicht von «Réseaux-Mondes», Centre Georges Pompidou, 23. Februar bis 25. Mai 2022. Alle Rechte hinsichtlich der Kunstwerke vorbehalten. Fotografie Sebastian Gießmann.

Agre After Techno-Utopianism

Workshop Call for Papers
Agre After Techno-Utopianism
1-2 September 2022 (University of Siegen, Germany: Media of Cooperation)
In person/hybrid

It is hard to imagine digital culture without the work of Philip E. Agre. His description of the mutual dynamics of digital technology and ideology, so-called ‘grammars of action’ (Agre 1994), and the appeal for a critical technical practice (Agre 1997) have inspired scholars across media studies, HCI, and digital art and design for over 30 years. This workshop, ‘Agre After Techno-Utopianism’, seeks to evaluate his contribution to the study of technology, ideology, critique, and practice since the ‘techno-utopia’ of the early internet era ended, and more dystopic energies emerged. „Agre After Techno-Utopianism“ weiterlesen

Die einstmals universelle Maschine

https://en.wikipedia.org/wiki/Magnetic_stripe_card#/media/File:Aufnahme_der_magnetischen_Struktur_eines_Magnetstreifens_auf_eine_EC-Karte_(Aufnahme_mit_CMOS-MagView)2.jpg

 

In Michel Serres’ 1989 erstmals erschienenen Elementen einer Geschichte der Wissenschaften steht der Computer am Ende einer Vielzahl von Verzweigungen im Netz aller möglichen Wissens- und Wissenschaftsgeschichten. Seine Bedingung liegt dabei nicht nur in allen Netzwerken, die ihm vorausgehen. Serres lässt keinen Zweifel daran, dass der Computer zu jenen Maschinen gehört, die man Universalwerkzeuge nennt – „da sie vom Werkzeug die Effizienz und vom Universellen die Wissenschaftlichkeit geerbt haben“.[1] So weit, so vertraut, könnte man mit etwas zu viel Gewissheit meinen: Rechenmaschinen sind eben spätestens seit Turings tape als universelle Maschinen konzipiert worden. Aber bereits Serres stellt nicht die Philosophie und Mathematik des Rechnens mit symbolischen Maschinen in den Vordergrund: Weder Leibniz und Pascal, noch Turing und von Neumann hätten die Rechenwerke komplett im Kopf gehabt, bevor sie sich ihrer konkreten Realisierung widmeten. Im Gegenteil hält Serres hier die praktische Realisierung des Digitalrechners durch Forschung hoch:

„Wer forscht, weiß nicht, sondern tastet sich vorwärts, bastelt, zögert, hält seine Entscheidungen in der Schwebe. Nein, er konstruiert den Rechner von übermorgen nicht dreißig Jahre vor seiner Realisierung, weil er ihn nicht voraussieht; während wir, die ihn kennen und fortan benutzen, leicht dem Fehlschluß erliegen, er hätte ihn vorausgesehen. In Wirklichkeit ist es mit ihm wie mit allen Akteuren dieses Buches – den individuellen und den kollektiven, den materiellen wie den intellektuellen: sie sind nur Darsteller seiner Verzweigungen und seines schwankenden Netzes.“[2]

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