Die erste App: kleine Geschichte der Kreditkarte

Die Kreditkarte ist ein Kind des 20. Jahrhunderts. Sie gehört zum Erbe der US-amerikanischen Konsumkultur und der „dreißig glorreichen Jahre“ des westlichen Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber trotz neuer Finanztechnologien im mobilen digitalen Bezahlen bleibt sie weltweit das führende Zahlungsmittel.

Alte Kreditkarten und neue Apps mischen sich dabei auf paradoxe Weise: Sechs Jahre nach dem Start von Apple Pay als smartphone-basiertem Bezahldienst bot Apple 2020 in Zusammenarbeit mit Goldman Sachs eine eigene physische Kreditkarte an. Nun mit einem Smartphone-Wallet gekoppelt, löste sie eine Neugestaltung der bestehenden Plastikkarten aus. Die schon länger obsolete, leichte Erhöhung der persönlichen Daten, die einst durch Papierabdruck die Nutzung von Kreditkarten per Formulardurchschlag erlaubt hatte, ist verschwunden. Das soziale Prestige der Kartennutzer:in äußert sich jetzt weniger darin, mit ihrem guten Namen zu bezahlen, sondern in den Werten der Walletdaten auf ihrem mobilen Bildschirm. Namen, Kreditkartennummer und weitere persönliche Daten sind in den letzten Jahren mehr und mehr auf die Rückseite der Karten gewandert. Nach der Covid-19-Pandemie ist zudem die persönliche Unterschrift auf Rechnungen deutlich seltener geworden.

 

Mit dem Wechsel im Kartendesign reagiert die Banken- und Kreditkartenindustrie auf die von Big Tech gesetzten Maßstäbe im digitalen Bezahlen. Aber kann sie mit den nicht-westlichen Innovationsdynamiken von Finanztechnologien noch Schritt halten? Chinesische Unternehmen wie Alibaba und Tencent haben die bank-basierte Kartenform des digitalen Bezahlens durch app-basierte Dienste übersprungen. Vergleichbares gilt für die Entwicklung des mobilen Bezahlens in afrikanischen Ländern. Warum aber halten sich Kreditkarten trotzdem hartnäckig als Bezahlmittel und Geschäftsmodell, das sogar neue Allianzen mit der Welt der Krypto-Assets eingehen kann?

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What’s Digital About Digital Media?

Cover Working Paper What's Digital about Digital Media?In this working paper we explore an alternative thread in the early development of media and medium as concepts: the origins of the idea of the storage medium in digital computing practices and communities of the 1940s and 1950s. While such practices were obscure at the time, they laid the technological foundation for today’s range of digital media. We discuss digitality as a feature of the practices used to read and write symbols from a medium, not a physical property of the medium itself.

We then move on to a discussion of the alphabet as itself digital, grounded in the work of Nelson Goodman. Engaging with the contributions of Matthew Kirschenbaum, we explore the limited interchangeability of representations between different encodings of the same symbols, connecting the purported immateriality of digitality to this actual fungibility of material representations.

This is a draft chapter of a book on “Defining Digitalities.” Comments are highly welcome!

Das neue Geld der Öffentlichkeit: Medienhistorisches Plädoyer für den digitalen Euro

Das neue Geld der Öffentlichkeit. Die Pläne der Europäischen Union für einen digitalen Euro bedeuten nicht das Ende des Bargelds, sondern die erstmalige Schaffung einer souveränen, sicheren Bezahlinfrastruktur. Ein medienhistorisches Plädoyer. Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20.9.2023, S. N4. Online unter faz.net.

Architecture of the Digital Euro, May 2023
Architekturvorschlag zum digitalen Euro, EZB, 26. Mai 2023 – „Digital euro – Prototype summary and lessons learned“

Test: Überleben, Intelligenz, Handlungsmacht und Zukünfte in der Testgesellschaft


 

„Keine Deskription eines Settings ist möglich oder sogar denkbar ohne die Vermittlung einer Prüfung; ohne eine Prüfung und eine Krise können wir noch nicht einmal entscheiden, ob es ein Setting gibt oder nicht – und noch weniger, wie viele Teile es beeinhaltet.“ Madeleine Akrich und Bruno Latour

Heft 29 der Zeitschrift für Medienwissenschaft fragt, wie sich Medien und Tests wechselseitig konstituieren. Besondere Aufmerksamkeit erfahren dabei Politiken des Testens. Die Beiträger*innen schlagen vor, Tests als offene Situationen zu verstehen, in denen mit teils etablierten, teils sich erst während des Testens etablierenden Maßstäben soziotechnische Bewertungen erfolgen und Entscheidungen getroffen werden. Für einen medienkulturwissenschaftlichen Begriff des Tests gilt: In den Mikroentscheidungen des verteilten und verteilenden Testens steht das Soziale selbst auf der Probe. Die versammelten Beiträge verdeutlichen: kein Test ohne Medien – kein Medium ohne Test.

Materiality of Cooperation

Cover Materiality of Cooperation
 
The volume investigates the socio-material dimension and media practices of cooperation – before, during and beyond situations. Cooperation is understood as reciprocal interplay operating with or without consensus, in co-presence or absence of the involved actors in distributed situations. Artefacts, bodies, texts and infrastructures are the media that make cooperation possible. They enable and configure reciprocal accomplishments – and are themselves created through media practices in cooperative situations.

Pre-Face

Materiality of Cooperation—An Introduction
Sebastian Gießmann, Tobias Röhl, Ronja Trischler

Before the Situation

What’s Digital About Digital Communication?

Cover Working Paper What's Digital About Digital Communication?Although the distinction between digital and analog was first made in the context of automatic computers, the concepts were quickly broadened to apply to media and communication systems of all kinds. This working paper continues work on both fronts by looking at the historical broadening of the concept of digitality to include non-numerical systems of representation such as those used to encode text and pictures. This conception underlies the ability of computers to deal with things other than numbers, but it has its roots in communications theory, most famously in the work of Claude Shannon.

In parallel with our historical description of the emergence of non-numerical conceptions of digitality we broaden our analytical treatment of digitality to encompass more historical technologies and reading practices: not only adding machines and punched cards, but also musical boxes, weaving systems, movable type, and even alphabets and hand gestures.

This is a draft chapter of a book on “Defining Digitalities.” Comments are highly welcome!

Protokollieren und Formatieren: Zur Mediengeschichte des credit reports

Der Beitrag folgt protokollarischen Schreibpraktiken, die zur Ausbildung der nordamerikanischen Kultur des Kreditgebens beigetragen haben. Er rekonstruiert die institutionelle und medienpraktische Entstehung des credit report im 19. Jahrhundert. Auf dessen narrativen und klassifizierenden Bewertungen von Kreditwürdigkeit beruht, so die These, die Konjunktur des prestigeträchtigen Bezahlens mit Kreditkarten im 20. Jahrhundert. Die protokollierenden Praktiken – in der Kreditauskunft, aber auch in der Registratur von Transaktionen – führen darin zur Ausbildung von fixierenden Karten- und Datenformaten und Standardisierungen. Diese werden wiederum für die Finanzmedieninteraktion protokollarisch, d.h. vorschreibend wirksam.

Erschienen im Open Access (PDF) in dem von Peter Plener, Niels Werber und Burkhardt Wolf herausgegebenen Buch Das Protokoll.

Test – Zeitschrift für Medienwissenschaft 29

Call for Paper ZfM TEST

Bereits vor Ausbruch der Covid19-Pandemie haben David Stark und Noortje Marres die fortwährende Ausweitung von Testverfahren als eine Signatur von test societies beschrieben. Sie konzentrierten sich dabei auf das wechselseitige Verhältnis von Test und Gesellschaft(en). Denn Tests finden nicht allein nur in Labor und Werkstatt, Büro oder Studio statt, sondern in sämtlichen Lebens- und Arbeitsbereichen. Doch in welchem Verhältnis stehen Medien und Tests – historisch, in der digitalen Gegenwart, politisch und methodologisch?

Wir schlagen vor, Tests als offene Situationen zu verstehen, in denen mittels etablierter oder sich erst während des Testens etablierender Maßstäbe soziotechnisch Entscheidungen ermöglicht werden. Mit Tests wird das Neue und Unerwartbare nicht nur erkundet, sondern medial registriert, identifiziert und klassifiziert. Auf diese Art und Weise werden situierte Daten als Fakten generiert, die wiederum Entscheidungen ermöglichen. Dadurch transformiert der Test das Getestete und seine Umgebung. Für einen medienkulturwissenschaftlichen Begriff des Tests gilt: In den Mikroentscheidungen des verteilten und verteilenden Testens steht das Soziale selbst auf der Probe. Der annoncierte Themenschwerpunkt von Heft 29 untersucht deshalb medienhistorische wie gegenwärtige Praktiken und Techniken von Testgesellschaften und fragt, wie sich Medien und Tests wechselseitig konstituieren – ob als Sinnestest, Testbild oder Testton, Probedruck, Testvorführung, Pilotfilm, Betaversion, Test technischer Objekte und Abläufe, forensische Analyse, Wissensprüfung oder biomedizinische Zertifizierung.

Besondere Aufmerksamkeit sollen die Politiken des Testens erfahren. Testgesellschaften können kontrollgesellschaftliche Elemente enthalten, doch die Politiken von Testsituationen entfalten sich auf unterschiedliche Weisen. Anstelle direkter Überwachung dominiert das permanente monitoring. Neben der Frage, wie mit Tests Entscheidungen getroffen und Zukünfte (un)möglich gemacht werden, sollen auch die beteiligten Akteur_innen und deren Handlungsmacht problematisiert werden. Wer verfügt einen Test? Wer hat Mitsprache an Kriterien und Bedingungen? Ist eine Testsituation für alle Beteiligten überhaupt als solche erkennbar? Gerade im Kontext digitaler Plattformmedien ist dies häufig nicht der Fall. Verfahren des datenbasierten Testens kennzeichnen technisierte und digitalisierte Lebenswelten – spielerische und situierte Praktiken, mit denen opake Medientechnologien angeeignet werden («unboxing», YouTube as Test Society), aber auch großflächige Tests, die vom Stresstest des Finanzsystems über die datenintensive Sozialforschung großer Plattformen und agile Entwicklungsstrategien (ehemals Perpetual Beta) bis zur allgegenwärtigen Einrichtung von Technologien maschinellen Lernens reichen. Man könnte von einer steten Ausweitung des soziotechnischen Testens sprechen, die auch Crashtests, experimentelle Smart Cities oder die Gesundheitsvorsorge umfasst.

Kein Medium ohne Test, kein Test ohne Medien. In datenintensiven Mensch-Maschine-Netzwerken wird fortwährend geprobt und getestet. Die wechselseitige Verfasstheit von Medien und Tests erzeugt dabei eigene Herausforderungen für medienwissenschaftliche Kritik und Methoden. Während der individualisierte Turing-Test als Mythos künstlicher Intelligenz weiter tradiert wird, werden mögliche kollektive Test- und Prüfverfahren verteilten maschinellen Lernens kontrovers diskutiert, etwa unter dem Stichwort der algorithmic accountability. Wie kann die Medienkulturwissenschaft ubiquitäres Testen in seinen verschiedenen Facetten empirisch nachverfolgen? Wie kann sie kritisch in entsprechende Debatten intervenieren? Und was bedeutet dies für medienwissenschaftliche Methoden?

Wir laden dazu ein, die Medien, Mediatoren und Situationen des Testens einer genauen Prüfung zu unterziehen. Besonders willkommen sind Beiträge, die die Medialität des Testens anhand konkreter Fälle untersuchen und sich deren Politiken zuwenden. Inwiefern sind Medien grundlegend für Testpraktiken und zeitlich begrenzte Test-Situationen? Inwiefern ist umgekehrt das Testen konstitutiver Bestandteil von Medien und deren Praktiken? Auf welchen biologischen, physikalischen, bürokratischen und sensorischen Test- und Prüfverfahren beruhen Medien? Wie schreiben sich die Medien und Mediatoren des Testens in Wahrnehmung, Sozialität, Geschlecht und Kulturtechniken ein? Ebenso interessiert uns, wie Institutionen und Plattformen, aber auch Situationen und Praktiken über die anhaltende Proliferation des Testens und seiner Datenpraktiken entscheiden. Wie lassen sich Testgesellschaften durch ihre öffentlichen Kontroversen – wer testet wen unter welchen Bedingungen – verstehen? Welche Testverfahren stehen im Widerstreit zueinander und gibt es alternative Testpraktiken und -kulturen? Wie lässt sich der Zusammenhang von Medien und Tests als politische Frage denken? Wie sähen demgegenüber die Konturen einer Poetik des Testens aus? Schließlich: Wie testet die Medienwissenschaft ihre Thesen?

Einreichung kompletter Beiträge bis zum 28. Februar 2023.
Stylesheet und Call unter www.zfmedienwissenschaft.de.

Ideen für mögliche Beiträge können sehr gern vor dem Einreichen der ausgearbeiteten Texte mit der Schwerpunktredaktion besprochen werden. E-Mail für inhaltliche Rückfragen: sebastian.giessmann@uni-siegen.de, carolin.gerlitz@uni-siegen.de.

Schwerpunktredaktion: Sebastian Gießmann, Carolin Gerlitz

Die einstmals universelle Maschine

https://en.wikipedia.org/wiki/Magnetic_stripe_card#/media/File:Aufnahme_der_magnetischen_Struktur_eines_Magnetstreifens_auf_eine_EC-Karte_(Aufnahme_mit_CMOS-MagView)2.jpg

 

In Michel Serres’ 1989 erstmals erschienenen Elementen einer Geschichte der Wissenschaften steht der Computer am Ende einer Vielzahl von Verzweigungen im Netz aller möglichen Wissens- und Wissenschaftsgeschichten. Seine Bedingung liegt dabei nicht nur in allen Netzwerken, die ihm vorausgehen. Serres lässt keinen Zweifel daran, dass der Computer zu jenen Maschinen gehört, die man Universalwerkzeuge nennt – „da sie vom Werkzeug die Effizienz und vom Universellen die Wissenschaftlichkeit geerbt haben“.[1] So weit, so vertraut, könnte man mit etwas zu viel Gewissheit meinen: Rechenmaschinen sind eben spätestens seit Turings tape als universelle Maschinen konzipiert worden. Aber bereits Serres stellt nicht die Philosophie und Mathematik des Rechnens mit symbolischen Maschinen in den Vordergrund: Weder Leibniz und Pascal, noch Turing und von Neumann hätten die Rechenwerke komplett im Kopf gehabt, bevor sie sich ihrer konkreten Realisierung widmeten. Im Gegenteil hält Serres hier die praktische Realisierung des Digitalrechners durch Forschung hoch:

„Wer forscht, weiß nicht, sondern tastet sich vorwärts, bastelt, zögert, hält seine Entscheidungen in der Schwebe. Nein, er konstruiert den Rechner von übermorgen nicht dreißig Jahre vor seiner Realisierung, weil er ihn nicht voraussieht; während wir, die ihn kennen und fortan benutzen, leicht dem Fehlschluß erliegen, er hätte ihn vorausgesehen. In Wirklichkeit ist es mit ihm wie mit allen Akteuren dieses Buches – den individuellen und den kollektiven, den materiellen wie den intellektuellen: sie sind nur Darsteller seiner Verzweigungen und seines schwankenden Netzes.“[2]

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Memory, Mind and Media

Cover Memory, Mind and Media

 

There is a new open access journal in the making, and I am glad to be part of its editorial board. Please check out the homepage of Memory, Mind and Media at Cambridge University Press. While its official launch date is 2022, first online articles will be published by mid-2021. The journal is edited by Andrew Hoskins (University of Glasgow, UK) and Amanda J. Barnier (Macquarie University, Australia).

Memory, Mind & Media (MMM) explores the impact of media and technology on individual, social and cultural remembering and forgetting. This agenda-setting journal fosters high-quality, interdisciplinary conversations combining cognitive, social and cultural approaches to the study of memory and forgetting in the digital era. The pervasiveness, complexity and immediacy of digital media, communication networks and archives are transforming what memory is and what memory does, changing the relationship between memory in the head and memory in the wild.

MMM offers a new home for a wide variety of scholars working on these questions, within and across disciplines, from history, philosophy, media studies, cultural studies, law, literature, anthropology, political science, sociology, neuroscience, psychology, cognitive and computational science and elsewhere.

The journal gives priority to submissions that are cross-disciplinary and/or interdisciplinary, experimental, agenda-setting and push the boundaries of existing knowledge and methods. The journal insists on jargon-free, plain English submissions to ensure a widely accessible forum for cutting edge work.

MMM is a high-quality, peer-reviewed journal, publishing online and Open Access. As a barrier-free Gold OA journal, a fee waiver system is in place for unfunded authors. You can submit your article using our online submission system here. General queries should go to memorycambridge@gmail.com.