Identifizieren: Theorie und Geschichte einer Medienpraktik

Cover Identifizieren: Theorie und Geschichte einer MedienpraktikRegistrieren, Identifizieren und Klassifizieren sind Praktiken, die in digitalen Kulturen kaum mehr zu trennen sind. Anhand der Mediengeschichte des Passes und der Kreditkarte geht der folgende Text der Frage nach, wie immer neue infrastrukturelle Kaskaden des Identifizierens entstehen und welche öffentliche Brisanz den entsprechenden Datenverarbeitungen innewohnt. Beim Identifizieren handelt es sich um eine ko-operative Medien- und Datenpraktik, an der stets mehr als eine Person beteiligt ist. Sie involviert von Anfang an menschliche Körper samt ihrer semiotischen Ressourcen und koppelt diese mit bürokratischen Aufschreibesystemen. Auch die neuesten digitalen Prozeduren greifen bevorzugt auf Gesichter und Fingerabdrücke zu: Biometrie versucht, den für das Identifizieren konstitutiven Abstand zwischen Konten, Körpern und Personen aufzuheben.

„Identifizieren: Theorie und Geschichte einer Medienpraktik“ ist in der Working Paper Series des Siegener Sonderforschungsbereichs Medien der Kooperation erschienen. Es handelt sich um einen Preprint des Wörterbucheintrags „Identifizieren“, der im dritten Band des „Historischen Wörterbuchs des Mediengebrauchs“ publiziert werden wird. Ich danke den Herausgebern Heiko Christians, Matthias Bickenbach und Nikolaus Wegmann für diese Möglichkeit. Entstanden ist der Text in und mit der Werkstatt Praxistheorie des SFBs. Wichtig war die Diskussion zur banal surveillance mit Asko Lehmuskallio, Paula Haara und Heiki Heikkilä während eines Aufenthalts in Tampere, Finnland. Jenny Berkholz, Sebastian Randerath und Tobias Conradi haben die Publikation des Working Papers dankenswerterweise mit möglich gemacht.

Lehrveranstaltungen im Sommersemester 2019

Museum für Gegenwartskunst, Siegen

Im Sommersemester 2019 biete ich folgende Lehrveranstaltungen in der Siegener Medienwissenschaft an:

Akteur-Netzwerk-Theorie und Akteur-Medien-Theorie
Unisono | Moodle

Werkstatt Praxistheorie
Unisono | Homepage/Plakat

Worum geht es in den Seminaren?

Akteur-Netzwerk-Theorie und Akteur-Medien-Theorie
Die Akteur-Netzwerk-Theorie hat sich in den letzten zehn Jahren in der Medienwissenschaft fest etabliert – zu einem Zeitpunkt, als die meisten ihrer Protagonistinnen und Protagonisten die ANT weitgehend hinter sich gelassen hatten. Die klassischen Texte der Akteur-Netzwerk-Theorie, die wir uns in diesem Seminar gemeinsam erschließen werden, stammen jedoch v.a. aus den 1980er und 1990er Jahren. War ihre verspätete und zunächst auf Bruno Latour fixierte Rezeption in der Medienwissenschaft ein – glücklicher – wissenschaftshistorischer Zufall oder folgt sie einer eigenen Logik? Was lernen wir aus der verspäteten und verschobenen Aneignung, und wie muss Akteur-Netzwerk-Theorie unter digitalen Bedingungen neu gedacht werden? Welche Potenziale bietet sie für medienhistorisches, medienanalytisches und medientheoretisches Arbeiten?

Werkstatt Praxistheorie
Die Werkstatt Praxistheorie widmet sich im Sommersemester 2019 Daten- und Medienpraktiken des Registrierens/Identifizierens, und Aktualisierens. Im Vordergrund steht die Diskussion mit den Gästen der Abendvorträge (Penny Harvey, Arjun Appadurai, Asko Lehmuskallio, Tanja Bogusz). Der voraussichtliche Termin für einen gemeinsamen, ganztägigen Workshop der Werkstatt ist der 9. Mai 2019, 10-18 Uhr.

Die Aktenförmigkeit von Koordination und Delegation wirft Fragen nach den Modi der Registrierung, Identifizierung und Nachverfolgbarkeit von Handlungen auf. Medienpraktiken der Registrierung und Identifizierung beginnen ebenfalls in wechselseitiger Interaktion, z. B. in sprachlichen und gestischen Praktiken des indexikalischen Verweisens und Verdeutlichens. Durch den Gebrauch registrierender und identifizierender Medien wird die Interaktionssituation transformiert, skaliert und modifiziert. Dies betrifft nicht nur die klassischen Verdatungstechniken staatlicher Registrierung und Identifizierung, darunter polizeiliche Erkennungsdienste, optische und akustische Überwachung, Staatstabellen, Statistik, Big Data. Vielmehr beinhalten Registrieren und Identifizieren ebenso alltägliche logistische Medienpraktiken: Adressierung, Einschätzen, Auffinden, Tracking und die Lieferung einer Nachricht, eines Objekts oder einer Person. Registrierungs- und Identifizierungstechniken ermöglichen die Referenz auf singularisierte Personen und Objekte, aber auch auf lokalisierte und datierte Verschickungsvorgänge.

So lassen sich Formen des registrierend-identifizierenden Mediengebrauchs in den Blick nehmen, mit denen Praktiken, Personen, Zeichen/Daten, Güter und Dienstleistungen „zurechnungsfähig“ gemacht werden, z.B. in der Nachverfolgbarkeit von literarischer Autorschaft, Produktion und Piraterie, der Kreditwürdigkeit einer Person, erwünschter/unerwünschter Beobachtung und Kontrolle, Bewegungsverfolgung, der statistischen Erhebung von Gleichheit, der Verwaltung und Adressierung in einem digitalen Telefonnetz und Nutzungspraktiken digitaler Plattformen. Leitende Fragen sind dabei: Wie verhalten sich die großen politisch-ökonomischen Registratur- und Bürokratisierungswellen seit dem 19. Jh. zur Entstehung massenmedialer Öffentlichkeiten, die von einem generalisierten, anonym adressierbaren Publikum ausgehen, dieses aber postwendend erforschen und durchleuchten wollen? Auf welche Art und Weise entstehen aus kooperativen Praktiken generalisierte Techniken und „Rechen(schafts)zentren“ (R. Rottenburg) zur Registrierung und Identifizierung? Wie integrieren sie Instrumente, und wie vollziehen Akteure die Mobilisierung mittels welcher Inskriptionen bzw. Daten? Mit welchen Wechselwirkungen zwischen ästhetischer bzw. populärkultureller und bürokratischer Registrierung und Identifizierung ist zu rechnen, d.h. wie organisieren Öffentlichkeiten die Zurechnung und Nachverfolgbarkeit von Personen, Zeichen, Dingen, Dienstleistungen?

Elemente einer Praxistheorie der Medien

Koordinieren Delegieren Registrieren/IdentifizierenDas Interesse dieses Texts gilt einem praxistheoretischen Vokabular, das sowohl für die Geschichte digitaler Medien geeignet ist als auch für die Erforschung rezenter digitaler Medienkulturen, ihrer Öffentlichkeiten und Infrastrukturen. Die folgenden Ausführungen adressieren daher einerseits durch Praktiken hervorgebrachte Eigenschaften und andererseits analytisch bestimmbare sozio- und kulturtechnische Charakteristika von Medien, die sich aus den Gebrauchsformen heraus verallgemeinern lassen.

PDF-Datei des Artikels (Lizenz: CC BY-NC-ND).

Erschienen in der Zeitschrift für Medienwissenschaft 19 (2018), S. 95-109.

Lehrveranstaltungen im Sommersemester 2018

Medien-Gutscheine in einer Drogerie, 2018Es wird ein aufregendes Sommersemester: Im Bachelor werden aus den Siegener „Einführungen in die Medienwissenschaft“ nun thematische Seminare. Der Einführungskurs ist ein Kunststück für sich, denn er muss die handwerklichen Dinge mit der inhaltlichen Diskussion verbinden. Ziel ist das Schreiben der ersten eigenen wissenschaftlichen Hausarbeit, mit allem was dazugehört: Eine Fragestellung finden, Material generieren und sortieren, Schreiben.

Im Master unterrichte ich „Theorien des Geldes“ – ein Kurs, auf den ich mich wirklich sehr freue. Denn man kann sagen, dass dieser klassische Gegenstand der Medien- und Kulturtheorie in den letzten Jahren wenig Aufmerksamkeit im Fach erfahren hat. Ausnahmen wie Jens Schröters und Anna Echterhölters Arbeiten bestätigen hier eher die Regel. Auch aus diesem Grund versucht das Seminar ein Update in Richtung „digitales Geld“ – ohne vorauszusetzen, dass es dieses überhaupt gibt. Wie verstehen wir Geld im Zeitalter der Kryptowährungen?

Ebenfalls wieder für alle Master-Studierende geöffnet ist die „Werkstatt Praxistheorie“, in der aktuelle medien- und sozialtheoretische Fragestellungen mit prominenten Vortragsgästen diskutiert werden. Zu Gast sind im Sommersemester die Soziologin Silvia Gherardi, die Wissenschaftsforscherin Natasha Myers, die Kunsthistorikerin Ann-Sophie Lehmann und der Literaturwissenschaftler Carlos Spoerhase.

PS. Dieser Blogpost wird laufend aktualisiert.

Navigationen – Medien der Kooperation

Cover Medien der KooperationIn den letzten Wochen gab es noch den Feinschliff, nun liegt die aktuelle Ausgabe der Siegener Navigationen gedruckt vor. Das von Matthias Schäfer gestaltete Cover zeigt nicht nur die Grafiken, mit denen die Techniksoziologin Susan Leigh Star ihr Konzept der „Grenzobjekte“ erstmals gegenüber Informatikern erläuterte. Auf der Rückseite haben wir noch einen kleinen heutigen Einblick in diejenige Institution versteckt, der die berühmte historische Fallstudie Stars und James Griesemers gegolten hat – das Museum of Vertebrate Zoology der University of Berkeley.

[Update 9.7.2015: Mittlerweile ist der Volltext der Ausgabe als PDF auf dem Siegener OPUS-Publikationsserver verfügbar.]

Worum geht es in dem Heft, das eine von David Sittler besorgte deutsche Erstübersetzung von Susan Leigh Stars „The Structure of Ill-Structured Solutions“ bietet?

Die digital-vernetzten Medien erfordern neue Analysen, Theorien und
Geschichten. Sie verändern unseren Blick auf die Geschichte von
Infrastrukturen, Öffentlichkeiten und Medienpraktiken. Was wären Ansätze
für eine Medientheorie, die praktischen „skills“ des Mediengebrauchs,
seiner soziotechnischen Materialität und den bürokratischen wie
epistemischen Qualitäten der Medien gerecht wird? Die vorliegende
Ausgabe 1/2015 der Navigationen widmet sich Medien als kooperativ
bewerkstelligten Kooperationsbedingungen. Sie erbringen, so die These,
konstitutive Vermittlungsleistungen zwischen der Organisation von
Arbeit, Praktiken des Infrastrukturierens und der Genese von
Öffentlichkeiten in wechselseitiger Interaktion.

u.a. mit Beiträgen von Erhard Schüttpelz, Sebastian Gießmann, Susan
Leigh Star, Heinrich Bosse und Kjeld Schmidt.

Hrsg. von der AG „Medien der Kooperation
Erhältlich beim Siegener Universitätsverlag universi.

„Navigationen – Medien der Kooperation“ weiterlesen

Netzwerk und Plattform

Dieser Tage habe ich mit Michael Seemann intensiv diskutiert – über das, was eigentlich aus Manuel Castells‘ Begriff der Netzwerkgesellschaft geworden ist. Erst hieß unser Leitmotto „Netzwerkgesellschaft revisited“, aber im Laufe der Facebook-Chats und Etherpad-Sessions stellte sich heraus, das „Von der Netzwerkgesellschaft zur Plattformgesellschaft“ der viel bessere Arbeitstitel ist. Denn um Plattformen als neue Akteure geht es in Michaels Buch „Das neue Spiel„, aber auch in meiner aktuellen Forschung liegt der Schwerpunkt auf der Frage der „platformativity“ (Joss Hands), und auf ihrer Rolle die Nutzungspraktiken auf, mit und durch digital-vernetzte Plattformen.

Uns interessiert aber nicht nur der aktuelle „Plattformkapitalismus“ – den ich historisch anhand einer Mediengeschichte der Kreditkarte und ihrer „zweiseitigen Plattformmärkte“ aufarbeiten will -, sondern vor allem die besonderen und neuen Bedingungen, die mit Plattformen als medialer Umgebung einhergehen. Also kein Quasi-Monopolistenbashing im aktuellen Internet, sondern die sozialen, kulturellen und politischen Transformationen, die „Plattformen“ als Kooperationsbedingungen darstellen. Offenbar lassen wir uns nur allzu gern auf „platformativity“ ein, auch als eine Stabilisierungs- und Übersetzungsoption sozialer Beziehungen. Neue, disruptive Effekte mit einbegriffen (siehe Uber und AirBnB). Michael hat das in einem Blogeintrag mal mit der aktuell brennenden Frage der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zusammengebracht – mit der Ahnung „Neuer Cryptowars“ und der „Plattformdämmerung“, die für überwachungsstaatliche Akteure eintreten kann, wenn populäre Apps Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für breite Nutzerschichten zur Verfügung stellen.

„Netzwerk und Plattform“ weiterlesen