Registrieren, Identifizieren und Klassifizieren sind Praktiken, die in digitalen Kulturen kaum mehr zu trennen sind. Anhand der Mediengeschichte des Passes und der Kreditkarte geht der folgende Text der Frage nach, wie immer neue infrastrukturelle Kaskaden des Identifizierens entstehen und welche öffentliche Brisanz den entsprechenden Datenverarbeitungen innewohnt. Beim Identifizieren handelt es sich um eine ko-operative Medien- und Datenpraktik, an der stets mehr als eine Person beteiligt ist. Sie involviert von Anfang an menschliche Körper samt ihrer semiotischen Ressourcen und koppelt diese mit bürokratischen Aufschreibesystemen. Auch die neuesten digitalen Prozeduren greifen bevorzugt auf Gesichter und Fingerabdrücke zu: Biometrie versucht, den für das Identifizieren konstitutiven Abstand zwischen Konten, Körpern und Personen aufzuheben.
„Identifizieren: Theorie und Geschichte einer Medienpraktik“ ist in der Working Paper Series des Siegener Sonderforschungsbereichs Medien der Kooperationerschienen. Es handelt sich um einen Preprint des Wörterbucheintrags „Identifizieren“, der im dritten Band des „Historischen Wörterbuchs des Mediengebrauchs“ publiziert werden wird. Ich danke den Herausgebern Heiko Christians, Matthias Bickenbach und Nikolaus Wegmann für diese Möglichkeit. Entstanden ist der Text in und mit der Werkstatt Praxistheorie des SFBs. Wichtig war die Diskussion zur banal surveillance mit Asko Lehmuskallio, Paula Haara und Heiki Heikkilä während eines Aufenthalts in Tampere, Finnland. Jenny Berkholz, Sebastian Randerath und Tobias Conradi haben die Publikation des Working Papers dankenswerterweise mit möglich gemacht.
Zur laufenden Debatte über Methoden der Medienwissenschaft habe ich einen Text zu neuen Wegen und Zielen der Medienforschung beigesteuert, der in der Zeitschrift für Medienwissenschaft erschienen ist. Alle Diskussionsbeiträge sind online einsehbar.
Meine Intervention schlägt eine interdisziplinäre Verschiebung in der Debatte zu medienwissenschaftlichen Methoden vor: Die Medienkulturwissenschaft sollte sich neuen Formen theoretischer Empirie öffnen, wie sie international als „inventive, mixed, lively, mobile, digital methods“ diskutiert werden.
Mein Buch „Die Verbundenheit der Dinge: Eine Kulturgeschichte der Netze und Netzwerke“ liegt nun im Open Access vor. Die PDF-Datei der zweiten Auflage von 2016 kann über das medienwissenschaftliche Fachrepositorium media/rep/ aufgerufen werden. Großer Dank gilt neben Dietmar Kammerer dem Kulturverlag Kadmos und Wolfram Burckhardt, die das Buch angesichts der Corona-Epidemie für den Open Access verfügbar gemacht haben. Bitte unterstützen Sie freie und unabhängige Verlage, die es momentan besonders schwer haben! Zum Beispiel mit dem Erwerb der Druckversion, die nicht nur zusätzlich über einen großen Farbteil verfügt, sondern einfach besser in der Hand liegt als ein PDF.
Am 29. Oktober 2019 feiert das Arpanet seinen 50. Geburtstag. Mein Geburtstagsständchen zu dieser zweiten Mondlandung des Jahres 1969 ist in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen (23. Oktober, S. N4).
Die Autorinnen der „Materialität der Kooperation“ fragen nach materiellen Bedingungen und Medienpraktiken der Kooperation – vor, während und über Situationen hinaus. Kooperation wird als ein wechselseitiges Zusammenwirken verstanden, das mit oder ohne Konsens, mit oder ohne Kopräsenz der beteiligten Akteure in verteilten Situationen vonstattengehen kann. Materielle Bedingung von Kooperation sind Medien als Artefakte, Körper, Texte, Bilder und Infrastrukturen. Sie ermöglichen, bedingen und figurieren wechselseitige Verfertigungen – und entstehen selbst durch Medienpraktiken in kooperativen Situationen.
There is no neutrality when it comes to net neutrality. Set up in the trenches between digital infrastructure and new media publics, net neutrality has become one of the defining controversies of internet governance, concerning fundamental questions regarding access, digital civil rights and the net’s affordances. A definition of net neutrality partly conceals its contested character, but as an artefact of an ongoing controversy, the Wikipedia entry provides some orientation:
“Net neutrality is the principle that governments should mandate Internet service providers to treat all data on the Internet the same, and not discriminate or charge differently by user, content, website, platform, application, type of attached equipment, or method of communication.” (Wikipedia 2018a)
By now, net neutrality is almost inseparable from other widely discussed trajectories of digitally networked media such as mass surveillance and censorship. Ever since it became an issue in itself, net neutrality is constantly under repair, flickering in and out with political changes and activist engagement.
Unlike policy-related papers, this article takes a different approach to the formation of net neutrality as a contested issue, with specific reference to US media publics. Along with Susan Leigh Star, I propose to understand it as a boundary object that has developed into a global “ideal type” (Star 1989, p. 49; Star and Griesemer 1989, p. 410). Boundary objects mediate between the informational requirements of heterogeneous social worlds (or publics). They aggregate different and even opposing viewpoints in a controversy without necessarily reconciling them. More specifically, as an “ideal-type” boundary object, net neutrality retains its interpretative flexibility for heterogeneous stake- holders from different social worlds (Pinch and Bijker 1987). It allows for different imaginations of how all data and “content” circulation should work on the internet. While an ideal-type boundary object “does not accurately describe the [technical, SG] details”, for example of non-discriminatory data package transmission and internet architecture, it is in fact “fairly vague” (Star and Griesemer 1989, p. 410).
Precisely because of its contested definition, net neutrality seems to be adaptable by all stakeholders for their purposes. This adaptability and interpretative flexibility is key to local appropriation and to the similar, yet not identical formations of net neutrality as an issue of public concern. Although there is no neutrality of stakeholders’ interests when it comes to net neutrality, even the most adversarial proponents will agree that the controversy deals with the question of how the internet should work as a global, yet techno-legally localised infrastructure. Obviously, there is no standardisation of related protocols that could ever deliver ‘real’ network neutrality. In producing an administrative and legal ideal type that is actually rather vague, the controversy is creating an abstraction from historical and actual infrastructural practice.
Want to know more? The whole text has been published within the book Infrastructuring Publics. Check out the SpringerLink PDF (and excuse the paywall), have a look at the preprint or drop me a line.
Die dreckige Wäsche wird immer zum Schluss gewaschen. Yasha Levines furiose Abrechnung mit dem Surveillance Valley setzt auf den letzten Seiten zum Rundumschlag an. Egal ob Edward Snowden, Jacob Applebaum, Roger Dingledine oder die Electronic Frontier Foundation: Für Levine spielen die Aktivisten rund um die Verschlüsselungssoftware Tor allzu naiv das Spiel von Geheimdiensten und Militärs mit, ohne sich kritisch mit der Herkunft ihrer favorisierten Technologien auseinander zu setzen. Levine, Sohn russischer Einwanderer und investigativer Journalist, hält sich hingegen an die Devise follow the money. Er beginnt sein Buch mit der bekannten Geschichte von Sputnik-Schock und Vietnamkrieg, die in den USA der 1960er-Jahre staatliche Forschungsgelder im ungeahnten Umfang mobilisierten. Er widmet sich der Advanced Research Projects Agency (ARPA), die auf dieser Basis als Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums gegründet wird.
Als Urszene der digitalen Überwachung fungieren in Surveillance Valley die strategischen Aktivitäten der ARPA zur Aufstandsbekämpfung im Project Agile. Sie beruhten auf einer Analyse des Militärgeheimdienstmanns William Godel: Angesichts der militärischen Fehler der französischen Kolonialmacht in Vietnam lautete dessen Schlussfolgerung, dass zukünftige counterinsurgency kleinteiliger, verdeckt, mit mehr High-Tech und psychologischer Kriegsführung operieren müsse. Noch vor Ausbruch des Vietnamkrieges baute die ARPA daher für das Pentagon gezielt Überwachungsstationen in Vietnam auf. Im Rahmen von Operation Igloo White wurden – weitestgehend ohne Erfolg – tausende Sensoren und Mikrofone im Dschungel platziert.
Das Interesse dieses Texts gilt einem praxistheoretischen Vokabular, das sowohl für die Geschichte digitaler Medien geeignet ist als auch für die Erforschung rezenter digitaler Medienkulturen, ihrer Öffentlichkeiten und Infrastrukturen. Die folgenden Ausführungen adressieren daher einerseits durch Praktiken hervorgebrachte Eigenschaften und andererseits analytisch bestimmbare sozio- und kulturtechnische Charakteristika von Medien, die sich aus den Gebrauchsformen heraus verallgemeinern lassen.
The article intertwines the history of the American credit card, its standardization, and interactional realization with the latest developments in payment systems. Understanding both credit cards and systems like Apple Pay or blockchain-based applications as part of an administrative longue durée, it argues for a different understanding of the Internet of Things. It should be understood both as a technical-informational and as an accounting infrastructure, with tensions arising between both segments.
This text was originally written for a collaborative volume edited by Ursula Frohne and Anne Thurmann-Jajes on Art ‘In-Formation’. Communication Aesthetics and Network Structures. Within its pre-print publication at the CRC „Media of Cooperation“ it remains in its original form, although research on diagrammatics, the history of networking, and Moreno himself has developed further. Most notably, Moreno’s son-turned-sociologist has written a popular book about him: Jonathan D. Moreno, Impromptu Man: J.L. Moreno and the Origins of Psychodrama, Encounter Culture, and the Social Network (New York: Bellevue Literary Press, 2014).
The following article discusses the combination of graphical methods and network thought in early sociology. It combines a case study of Jacob Levy Moreno’s sociometric work and diagrammatic practice with media-theoretical thoughts about the characteristics of network diagrams. These are understood as inscriptions that perform both an act of drawing and writing at the same time. Moreno’s mappings, as well as other early visual techniques of social research, are understood along Michel Serres’ understanding of the network diagram as a topological narration. Seen from the vantage point of a history of knowledge, Moreno’s sociometric and performative practices can not only be understood as a contribution to social network thought, but as actual research on the cooperative character of human interaction.